Solange Kette und Reifen halten
Fahrradtaxis in Ruandas Hauptstadt Kigali
Text: Tom E. Laengner
Sterne gehen oft in einem begrenzten Universum auf. Isaac Ndamage hat einen solchen Stern gefunden. Er gibt ihm Inspiration am Himmel seiner Welt in Ostafrika. In die Wirklichkeit des Fahrradtaxifahrers aus Ruandas Hauptstadt Kigali fügt sich dieser Stern geschmeidig ein. Nahezu wie gemacht für einen Mann, der von sich sagt: „I‘m a bicycle man!“
Selbstbewusst fährt der 25jährige fort: „Adrien Niyonshuti ist für mich ein Star. Ein echter Bicycle Man! Dabei war er mal Taxifahrer wie ich.“ Heute ist Niyonshuti in seinem Heimatland wohl die zweitberühmteste Persönlichkeit nach dem Präsidenten. Spätestens seit er bei den Olympischen Spielen 2012 in London die Fahne der Republik Ruanda in den Queen Elisabeth Olympic Park getragen hat, gibt es im Land der tausend Hügel kaum einen Menschen, der den Namen des drahtigen Radprofis noch nicht gehört hat. Niyonshuti ist Mountainbiker und fährt internationale Straßenrennen. Niyonshuti ist im Nationalteam. Sein Wohnzimmer waren der flirrende Asphalt und das Ziegelrot der Straße. Niyonshuti ist ein Held, auch wenn er dieses Jahr nicht mehr bei der Tour du Rwanda mitfährt. Die Augen der Fahrer leuchten auf, wenn sie darüber streiten, welcher Ruander in diesem Jahr die Tour gewinnen wird. Valens Ndayisenga könnte es werden. Aber die Chancen von Jean Bosco Nsegimana stünden auch nicht schlecht. Aber im Kern geht es um mehr als Starkult und Ruhm.
Abdoul Bamfakuvuga schiebt einen Stapel Unterlagen beiseite und bringt die Sache auf den Punkt. Der Präsident der Taxifahrerkooperative ‚Versöhnung‘ überlegt kurz und stellt klar: „Das Eigentliche ist doch, dass Niyonshuti seine Familie ernähren und seine Kinder zur Schule schicken kann“. Das scheinen die um ihn versammelten Taxifahrer auch so zu sehen und nicken zustimmend. Das Büro der Kooperative liegt im flughafennahen Bezirk Remera und hat 347 Mitglieder. Die zwanzigjährige Geschichte der Organisation ist so wechselvoll wie die der einzelnen Mitglieder. Nach dem Völkermord von 1994 könnte das kleine ostafrikanische Land heute auch das Land der tausend Wunder heißen. Als drei Jahre später die Kooperative der Taxifahrer ins Leben gerufen wurde, waren die Wunden noch sehr frisch. Fast eine Million Menschen war ermordet worden. Bis heute können viele der zwölf Millionen Einwohner grauenvolle Geschichten erzählen. Jede Person, die dir auf der Straße begegnet und über 23 Jahre alt ist, hat eine ganz persönliche Geschichte. Adrien Niyonshuti ist einer davon. Sechs seiner Brüder kamen ums Leben. Er selber überlebte die Gräueltaten im Nirwana des ruandischen Buschlandes. Fahrradtaxi zu fahren war für den heute 30 jährigen eine Traumatherapie ohne Worte. Und die Entwicklung seiner sportlichen Karriere wertete das Ansehen von Fahrradtaxifahrern im ganzen Land auf. Meist sind es junge Männer wie Isaac Ndamage.
Der Verkehr ist im Lande auf eine charmante Weise Old School. Lastkraftwagen krabbeln brummend die Hügel rauf und runter. Die Luft ist schwer vom Staub roter Erde, Holzfeuern und allerfeinstem Diesel. In dieser Szenerie treiben die Taxifahrer ihre Räder konzentriert am rechten Fahrbahnrand entlang. Sie fahren ohne Gangschaltung und unter Beanspruchung aller ihrer Sehen und Muskeln. Sie sind immer in Bewegung. Keine Zeit um Fett anzusetzen. Ungeachtet dessen oder gerade deshalb macht Isaac Ndambage sich so seine Gedanken: „Harte und ehrliche Arbeit machen einen Mann doch erst zum Mann.“ Und dann ergänzt er nachdenklich: “Genauso wie nach dem Leben und sich selber zu suchen. Das gehört auch dazu“. Fürstlich bezahlt wird diese äußerst nachhaltige Transportmöglichkeit im öffentlichen Nahverkehr leider nicht. Mit zwanzig Cent für den Kilometer erwirbt ein Mensch auch in Ruanda keinen Wohlstand. Auch nicht, wenn er 12 Stunden am Tag fährt. Die glühende Sonne, die Steigungen und nicht zuletzt die Lasten hinter dem Sattel dehnen jede tägliche Fahrt zu einem Marathonereignis aus. Dieses Umstände bringen zum Nachdenken, als der „Bicycle Man“ darauf hinweist, dass er unbedingt auch anderen helfen will, wenn es ihm eben möglich ist. Als hätte er mit sich nicht schon genug zu tun!
Doch manchmal wird es einfach zuviel. Das Jahr 2014 wurde zu einem rabenschwarzes Jahr für die Taxifahrer. Um ihre Gefährdung zwischen Bussen, Lastern und Motorradtaxen zu verringern, verbannte die Polizei sie von der Straße. Es habe landesweit einfach zu viele Unfälle mit Todesfolgen gegeben. Für die auf diese Weise um ihre Beschäftigung gebrachten Chauffeure war das eine schlimme Sache. „All unsere Hoffnung war mit einem Male zerstört,“ erinnert sich Abdoul Bamfakuvuga, „Damals sind die Fahrer zurück in die Dörfer gegangen, aus denen sie ursprünglich gekommen waren.“ Wie es für sie hätte weitergehen können wusste niemand. Dann war die Regierung eingeschritten. Unter der Einflussnahme des Präsidenten Paul Kagame wurden den Helden des Alltags der Asphalt wieder freigegeben. So packten die Männer ihre Lizenzen und Zahnbürsten erneut ein. Dieses Mal machten sie sich in Richtung der großen Städte auf. Und ihre Herzen waren befreit! „Das hat uns sehr glücklich gemacht,“ sagt der Mann in der Kooperative, den die Fahrer immer wieder als ihren Vater betrachten, „und bis heute sind wir dafür sehr dankbar!“ Und dann wird deutlich, wie relativ doch der Begriff von Gefahr ist. Denn Einigkeit besteht in der Kooperative darin, dass der Beruf nicht gefährlich sei. Es sei eben normale Arbeit. Und mit sehr offenem Gesicht erklärt Bamfakuvuga: „Nein,gefährlich ist es nicht. Nehmen wir das Jahr 2017. Da haben wir bis jetzt nur einen einzigen Todesfall zu beklagen!“ Das ist nicht überall so. Es gibt auch Kooperativen, in denen keinerlei Todesfälle in Folge von Arbeitsunfällen zu beklagen sind. All das darf nicht als Ausdruck von Gleichgültigkeit verstanden werden. Die Mitglieder sehen sich als eine Gemeinschaft an, in der man sich einander trägt. Natürlich sind Beiträge erforderlich, die aber den Mitgliedern zugute kommen. Der Präsident erklärt wie es funktioniert: „Wenn einer krank ist, wird er nicht nur von den anderen Fahrern besucht. Wir bezahlen auch Medikamente“. Und die schweren Arbeitsunfälle sind im Gewerbe der Taxifahrer mit Kette und Pedale seit 2014 deutlich zurückgegangen. „Wir mussten unsere Fahrer einfach besser schulen. Und das hat sich bemerkbar gemacht,“ räumt Bamfakuvuga freimütig ein.
Die Arbeit ist hart. Unter Ruandas blauem Himmel einen Menschen zu fahren ist Schwerstarbeit. Selbst wenn die Strecke nicht abschüssig ist und es keine Schlaglöcher gibt, die Fallen stellen. Um Zeit und Energie zu sparen hängt sich manch ein Fahrer an einen der LKWs, die aufwärts unterwegs sind. Das ist verboten und kann neben der Gesundheit auch die Lizenz kosten. Aber für Profis ist das Motto „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt“ keine Option. So gönnen sich manche waghalsige Fahrer das Gefühl von Achterbahn für umsonst. Doch sind die Männer, die ihre spartanischen Gefährte durchs Land bewegen mehr als Maschinen aus Sehnen und Muskeln. Ndamage macht sich für den Tag öffentlicher Arbeit stark. Denn an jedem letzten Samstag im Monat werden in Ruanda öffentliche Arbeiten erledigt, die sonst gerne liegen bleiben. Dahinter steckt eine Initiative. Vielleicht ist aber nicht zuletzt das der Grund dafür, dass Ruanda immer wieder als das sauberste Land Afrikas bezeichnet wird. Weil das dennoch nicht jedermanns Sache zu sein scheint, wirbt Isaac Ndamage im Freundeskreis dafür. Er möchte ein guter Bürger sein, der andere inspiriert. Seine Empfehlung: „Ich würde in der Bibel lesen. Das macht dich offen!“ Ein Profiradfahrer werden wie sein persönlicher Star Adrien Niyonshuti will er jedoch nicht. Ndamages Pläne sind noch unklar. Doch lehrt ihn das Leben von Adrien, dass Überraschungen möglich sind.